AndyZZ hat geschrieben:Ich habe mal Anfang/Mitte der 90er mit einem Freund einen Spielfilm gedreht. 90 min. Hat zwei Jahre zum fertigstellen und fünf Jahre zur Uraufführung gebraucht. War der Spaß meines Lebens! Ehrlich! ...
... Klar, ich würde heute vieles anders machen, aber damals hat's gepasst.
Aber ohne eine Idee zum Thema des Films wirst du keine Minuten Film machen. ...
Mir ging's wie AndyZZ !
Wir schreiben das Jahr ..., äh, nein, ... Mitte der 90er: Sonys sensationelle DV-Cam VX1000 ist noch nicht angekündigt, aber steht schon vor der Tür (für mich - als sie dann wirklich kommt - am Stück völlig unbezahlbar (ich seh' grad, es wird auf 'slashcam' heute eine für 350 Euro angeboten)) ! Es ist die letzte Hochblüte von 'analog' bevor 'digital' und die Computer endgültig das Zepter übernehmen.
Ich habe unerwartet plötzlich eine Hi-8 Cam zur Verfügung (weil jemand die etwas sperrige Kamera für Reisen/unterwegs durch ein kompakteres Modell ersetzt hat): Eine Canon A2-Hi. Hi-8 Format, 1/2 Zoll Chip, 10-fach Zoom inkl. Makro mit Blende 1:1.4 im WW-Bereich, digitaler Bildspeicher für In-Kamera Szenen-Überblendungen und ein paar Verfremdungs-Effekte (die man heute alle am Conputer machen würde), alles manuell beeinflussbar - WAS FÜR EIN UNGLAUBLICHES TEIL, JETZT IST ALLES MÖGLICH !
Film und Foto haben mich schon immer fasziniert - soll ich einfach die zwei Freunde und mich dokumentieren & portraitieren, mit Interviews, auf witzige Art womöglich ? 'Just for the record' - damit wir später noch wissen, wie doof wir mal gewesen sind ?
Ich schreibe zu dieser Zeit bis tief in die Nacht hinein an einer Diplomarbeit und gönne mir zur Geisterstunde auf einem 12 cm S/W Mini-TV (aus max. 1 m Distanz) jeweils eine Pause mit Wiederholungen einer bekannten Sci-Fi Serie und lasse meine Gedanken dabei fliessen.
Was die da zeigen, so mein Eindruck, das ist doch nicht länger Hollywood und den Profis vorbehalten, das rückt doch auch für Normalsterbliche immer mehr in den Breich des Möglichen ! 'Farbstanze' (der 'Blue Box' Effekt, 'Chroma Keying'), PiP (Picture in Picture - frei platzierbar), Titel-Generatoren, Schnitt-Steuerungen (Video Editoren, 'Edit Suites') mit programmierbarem Pre-Roll für die angehängten Bandgeräte etc. etc. - die Videohefte sind doch voll davon ! Nein, ich stecke die Ziele höher, wenn schon Film, dann richtig ! Ich werde das eine tun, ohne das andere zu lassen - jetzt baue ich uns drei samt fiktiven Portraits in eine abenteuerliche Sci-Fi-Story inkl. Zeitreise ein, mit 'Special Effects' und allen Zutaten ! Und ich gehe Schritt für Schritt vor - alles auf einmal ist unmöglich ... von meinen Kentnissen, meinen Fähigkeiten und meinen Finanzen her und auch vom Zeitaufwand für meine zwei Freunde, die schliesslich ihre Jobs und Beziehungen haben und nicht wie ich über freie Zeiteinteilung verfügen.
Die Story hängt von der Ausrüstung und deren Möglichkeiten ab, die Ausrüstung von den Vorgaben der Story - was also zuerst ?
Beides gleichzeitig ! Ich muss wissen, was technisch drin liegt, dann kann ich meine Geschichte anpassen. Eine viel besprochene (aber letztlich doch unbrauchbare, da nicht 'frame'-genaue) Sony Schnittsteuerung mit einigen sehr einfachen Möglichkeiten zur Bildmanipulation (aber kein Bewegtbild !) und Titel-Erzeugung wird mein erstes 'Beutestück' und erweist sich als viel zu simpel - ein teurer Fehlgriff. Aber immerhin 'gehöre ich jetzt dazu' (ein Ansatz, der grundsätzlich falsch ist) - ich habe AUCH eine Schnittsteuerung ! Dann kommen semi-pro digitale Bildmixer mit analogen S-Anschlüssen von Videonics heraus - 4 Kanäle, Preview-Monitor Ausgang, Chroma Key, Luma Key, PiP, Digital Zoom, sehr einfaches Compositing, weiche Überblendungen samt Ton - soviel Videomischer gab's für Amateure noch nie zu einem solchen Preis - damit lässt sich alles machen !
Monate später (die Diplomarbeit ist abgegeben, ich habe einen Job, der mir noch Zeit lässt): 2 Hi-8 Zuspieler (1 gemietet), ein S-VHS Master Recorder, Frame-genaue Schnittsteuerung mit 2x GPI für den Videomixer/Titler (ich habe nie einen benutzt, sondern den Text vom Bildschirm abgefilmt und dann ge'keyt') - aber irgendwie reicht es trotzdem nicht. Die Kopierverluste für die S-VHS-Zwischenkopien der 'Special Effects' sind zu gross ! Im ersten Schritt ein Skalieren und Positionieren des selbstgebastelten und von innen beleuchteten Bausatz-Raumschiffs, im zweiten Schritt mit der so gewonnenen Zwischenkopie ein Chroma oder Luma Key mit dem Space-Background, und damit wieder wieder auf S-VHS - ein zu grosser Qualitätsverlust !
Was tun ? Es gibt nur eine Lösung ohne Computer - ein zweiter Videomixer, mittels Sonys 6x6-Kreuzschiene (ein preisreduziertes Ausstellungsstück aus dem Pro-Ausverkauf), an der mittlerweile alle Geräte hängen, bei Bedarf per Insert hinter den ersten einschleifbar.
Aber das Geld fehlt - die Dinger sind einfach zu teuer ! Überall gesucht (noch ohne Internet), verwaistes Austellungsmodell gefunden - das Foto-Geschäft will weg vom Videozubehör -, den Verkäufer beschworen und schliesslich mit letzten Reserven für unter dem halben Neupreis gekauft - die Rettung !
Damit geht's. Unterdessen endgültige Fassung der Zeitreise-Story geschrieben, Dialoge ausgebrütet, Kulissen geplant, Materialien wie Holz, Styropor, Tücher etc. im Deko-Material-Ausverkauf eines grossen Warenhauses preiswert eingekauft und schliesslich die Raumschiffbrücke auf Dachboden in alter Scheune (das 'Mal-Atlier' des einen Freundes) aufgebaut, 1000- und 500 Watt-Baustrahler besorgt und Probe-beleuchtet - direkt/indirekt, mit/ohne Zusatzlicht. Schliesslich ein kompletter Drehtag (draussen und drinnen) und 2 bis 3 Nachdrehs für fehlende Dialoge / fehlende Übergänge, Ergänzungen aller Art, weil die Planung nicht gut genug war.
Aber immer noch ungelöste Probleme: Das S-VHS-Master verliert trotz allerbestem Fuji Tape immer noch zuviel von der Original Hi-8-Qualität. Zu starkes Rauschen, zu viel Bildkorn !
Doch die Rettung naht - im Zuge von Sonys DV-Offensive taucht plötzlich ein Gerät auf, das alles bietet, was man bisher vermisst hat: Analoge S-VHS-Eingänge für 'verlustfreie', digitale Aufnahme auf DV-Tape, auch umgekehrt nutzbar - Firewire-In und Analog-Out (bei mir mit preiswertem, angehängtem 37 cm Sony Röhren-TV mit S-Video In zum Kontrollieren der gerade aufgezeichneten Szenen). Das Ganze hat sogar einen eingebauten 5.5-Zoll-Monitor, zusätzlich LANC- und Kopfhörer-Anschluss sowie Lautsprecher und läuft mit Akku oder ab Netz - der fantastische, tragbare Sony GV-D900 - der ideale Master-Recorder für meine Zwecke !
Gespart und gespart und nochmals gespart und schlisslich zum absolut tiefsten Preis gekauft - die Rettung vor den S-VHS-Kopierverlusten !
Aber die nächste Hürde lässt nicht lange auf sich warten - unlösbarer als die Bildprobleme ist der Ton ! Da die Scheune direkt an einer Strasse liegt, ist der Original-Ton nicht zu gebrauchen - entweder Autos, spielende Kinder, Vogelgezwitscher, Glockengeläute oder bellende Hunde - irgendetwas stört immer !
Wir brauchen eine bildsynchrone Nachvertonung sämtlicher Dialoge - nur wie ?
Das Aufnahmegerät empfängt Timecode über eine LANC-Buchse (L-Control) und gibt ihn auch aus, wenn selbst Abspieler.
Aber keines von den diversen 4-Spur-Geräten aus dem Musikzubehör versteht LANC.
Die Rettung kommt in Form von 2 Geräten: Der Fostex FD-4 kostet kein Vermögen und kann Stereo mit insgesamt 4 Spuren auf eine Harddisk aufnehmen, zusätzlich gibt's noch eine Master-Streospur. Und er kann als 'Slave' (= läuft mit) mit MTC (Midi Time Code) gesteuert werden. NUR: Ich habe LANC !
Da kommt Roland unerwartet zu Hilfe und bringt einen Timecode-Konverter von LANC nach MTC zum günstigen Preis - eine kleine Metallbox, die in beide Richtungen wandelt und sogar Pansonic-Timecode anstelle von LANC entgegennimmt - fantastisch !
Sobald das Geld vorhanden ist, gekauft - es funktioniert: Nach jeweils einigen Sekunden 'Free Run' klinkt sich der Fostex in den LANC-Timecode ein und läuft bildgenau mit.
Technisch sind wir nun 'in Sync' - aber sprachlich ? Niemand von uns ist wirklich geübt mit lippensynchroner Nachvertonung ! Also ein Versuch: Mikrofon aufs Stativ, Film ab und, frei stehend und entspannt aber konzentriert, ... Einsatz nicht verpassen ! ... schliesslich geht es dann doch erstaunlich gut !
Der Fostex hat sich als Werkzeug absolut bewährt: Eine Stunde Tonmaterial in CD-Qualität auf 6 Spuren verteilt passten auf die interne 2.1 GB-Disk - das reichte genau für die Stunde, die der Film schliesslich lang wurde.
Die Uraufführung in einem kleinen, gemieteten Privatkino war dann rund 5 Jahre nach der Initial-Idee vor dem 12 cm Schwarzweiss-TV (und 3 Jahre nach dem Fertigschreiben der Geschichte). Teile des Films komplett, Teile noch nicht ganz - vor allem der Ton. Ein nicht perfektes, aber immerhin authentisches Spektakel für einen recht überschaubaren Kreis !
Haben wir Fehler gemacht ? Oh ja, Dutzende, Hunderte ... ganz bestimmt zu viele ! Haben wir was dabei gelernt ? Viel, sehr viel ... wie immer, wenn man naiv, mit eigener Intuition, an eine Sache herangehen und die Fehler selber machen darf !
Würde ich es wieder tun ? Ja ! Etwas anders machen ? Eigentlich nicht ... das heisst, vielleicht vorher etwas besser überlegen, wie man eine geschriebene Geschichte in Bildsprache umsetzt, auch wie man Dialoge filmt. Sonst fehlen Anschlüsse, Material für Zwischenschnitte, 'Fleisch' um die Szenen, stimmen Blickrichtungen und Reaktionen nicht ... es gibt so viel zu beachten und es ist so leicht, es im Augenblick richtig zu machen und so schwer, es im Nachhinein zu reparieren. Hier lohnt sich etwas Voraus-Wissen und ein wacher Kopf beim Dreh unbedingt !
Ansonsten bin ich eher dagegen, dass man sich durch Übervorbereitung und das Wissen, was man alles falsch machen kann sowie permanente 360°-Rundumsicht, wie dieser und jener und der und noch ein anderer das wohl machen würden, schliesslich selber blockiert.
Technische Sicherheit hilft bestimmt, wie auch eine klare Vorstellung von der Geschichte und wie man sie erzählen will, aber im übrigen vor allem ein eigener Rhythmus, eine eigene Handschrift bzw. Bildsprache - die eigenen Intuition. Denn: Wenn ich einen Film mache, den am Ende niemand von den anderen unterscheiden kann, wozu mache ICH ihn dann überhaupt ?
Vorbilder sind gut, eine eigene Vorstellung ist besser ! Und wenn mich die Kritiker aufgrund von Fehlern anschliessend mit gewissem Recht zerfetzen, so sage ich mir: Scheitern kann jeder mal, man muss nur den Mut und die Ehrlichkeit haben, daraus zu lernen und weiterzumachen !
Beim nächsten Versuch machen wir viele Fehler nicht ein zweites Mal !