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Eine Ode an das Leben(?)



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Starshine Pictures
Beiträge: 2658

Eine Ode an das Leben(?)

Beitrag von Starshine Pictures »

Nach einem langen Arbeitstag im Spital sitze ich endlich auf meinem Balkon unterm Sternenhimmel. Die Familie schläft schon längst, niemand hat bemerkt dass ich heim gekommen bin. Ganz leise bin ich zur Tür hinein, an den Schlafzimmern vorbei durch den Flur auf den Balkon geschlichen. Nur die Katze ist mir gefolgt und geniesst nun ebenfalls den kühlen Windhauch der durch die Häuser weht.
Ich muss erst einmal runter kommen, ankommen. Das passiert mir nur selten. Eigentlich kann ich nach dem Dienst schon auf dem fünfzehn minütigen Fussweg nach Hause gut abschalten. Selten passieren Dinge die es in meinem Bewusstsein von der Arbeit bis durch die Wohnungstür schaffen. Ich arbeite seit 15 Jahren als Krankenpfleger in verschiedensten Institutionen, von Altenheimen über Psychiatrien und diversen Abteilungen in Krankenhäusern. Ich habe Kinder zur Welt gebracht und Grosseltern beim Sterben begleitet. Seit nun mehr als 5 Jahren bin ich auf der selben Station im gleichen Spital. Ich bin es leid ständig weiter zu ziehen. Mein Lebensmittelpunkt hat sich auf meine Familie verlagert, meine Leidenschaft auf die Filmerei. Der Job dient nunmehr dem Broterwerb, nicht zur Selbstverwirklichung.

Manchmal geschehen jedoch Dinge in diesem Beruf, die einem die Wertigkeit des Lebens vor Augen führt. Man wird am Hemdärmel gezupft um sich der wahren Dinge bewusst zu werden. Ich habe heut jemanden beim Sterben begleitet. So wie schon oft zuvor. In unserem Pflegeteam bin ich der Sterbebegleiter. Ich hatte bereits spezielle Weiterbildungen in palliativer Pflege und kümmere mich um Sterbende und deren Angehörige. Immer wenn auf meiner Station jemand sterben wird bin ich zuständig diese Menschen zu begleiten. So auch in den letzten Tagen. Vor 2 Wochen hatte ein knapp über 50jähriger Mann einen Herzinfarkt, auf offener Strasse. Er wurde sofort von Passanten versorgt, der Notarzt gerufen. Nach 45 Minuten Reanimation war wieder ein Herzschlag messbar. In der Klinik stellte sich dann auf Grund des Sauerstoffmangels im Gehirn in den folgenden Tagen ein dauerhafter Zustand im Wachkoma dar. Wachkoma bedeutet, die Menschen können selbständig atmen, reagieren teilweise auf Umweltreize, öffnen ihre Augen. Ich habe sogar mal einen Wachkomapatienten erlebt der selbständig essen (kauen und schlucken) konnte. Dieser Zustand ist irreversibel weil die Schäden am Hirn zu gross sind.

Dieser Patient war nun bei uns. Die Angehörigen hatten sich dazu entschieden die Therapie abzubrechen. Sie sahen für ihn keine lebenswerte Zukunft in diesem Zustand. Solch eine Entscheidung zu treffen ist wahnsinnig schwer. Den eigenen Verlust so hinzunehmen um jemand anderen gehen zu lassen. Die Nahrungszufuhr wurde minimiert, Medikamente nicht mehr gegeben. Heut kam nochmals die gesamte Familie am Bett zusammen. Auch Angehörige zu denen das Verhältnis nicht mehr optimal war. In so einer Situation verliert man Gott sei Dank den Hang zu alten Fehden und Streitereien. Als dann nur noch die engste Familie da war hat er seinen letzten Atemzug getan. Keiner war entsetzt, niemand geschockt. Eine grosse Zufriedenheit erfüllte den Raum. Das hastige Schnaufen durch die Luftröhrenkanüle hatte aufgehört. Frau und Tochter standen bei ihm und begannen Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen. Weisst du noch? Wie er damals?
Jetzt denken viele bestimmt: "Ach jetzt kommt wieder dieser Carpe Diem Käse!" Nein. Das Leben ist in seiner Einfachheit so filigran, so lebenswert. Es braucht keine Fallschirmsprünge, kein Tauchen mit Delphinen oder sonstwas für unglaubliche Erlebnisse. Man soll das Leben geniessen, egal was einem Spass macht. Und sei es noch so unwichtig. Wenn ihr euch liebend gern über 8 oder 10 bit, FullFrame oder APS-C, Sony, Canon oder doch lieber Panasonic streitet, dann tut das! Mit voller Begeisterung! Macht das was euch zufrieden macht. Egal wie unwichtig es im grossen Ganzen erscheinen mag. Geniesst euer Hobby, teilt es mit anderen! Kümmert euch um eure Frauen und Kinder. Sagt ihnen nette Worte, schätzt ihr Dasein.

Ich bin sehr nah dran am Leben. Jeden Tag.


Liebe Grüsse, Stephan von Starshine Pictures
*Aktuell in Vaterschaftspause*



klusterdegenerierung
Beiträge: 27321

Re: Eine Ode an das Leben(?)

Beitrag von klusterdegenerierung »

Das kann ich gut nachvollziehen!
Ich arbeite als Fotograf und Filmer viel in der (F)arma und Blutspendedienst, bin oft in Krankenhäusern, sehe dabei viel Dinge, die meine Freunde in Ihren Jobs nie sehen und auch nicht sehen wollen.

Ich habe einen kleinen Beitrag über ein Mädchen gefilmt, die ohne ständige Bluterneuerung nicht überleben würde!
Dabei drehten wir auf einer speziellen Kinderstation mit Krebskranken Kleinkindern! Viele mit Glatze und ein haufen Geräte um sich rum!

Und dann zu sehen, das diese Kinder mit so kleinen Dingen so Glücklich sind, ist ein Hammer Gefühlskonglomerat. Da werden die eigenen Probleme winzig klein!

Bin oft echt Dankbar das ich solche Jobs habe! Kann Dich gut verstehen! ;-)



Starshine Pictures
Beiträge: 2658

Re: Eine Ode an das Leben(?)

Beitrag von Starshine Pictures »

Um Himmels Willen. Niemals könnte ich auf solch einer Kinderstation arbeiten. Wir wohnen ganz in der Nähe des Kinderkrankenhauses. Und mir reicht es schon wenn der Rettungshubschrauber über uns fliegt um dann dort zu landen. Da läuft es mir schon eiskalt den Rücken runter. Diese Kinder sind so im hier und jetzt, sie vergessen völlig ihr tragisches Schicksal. Und das würde mich kaputt machen. Jeden Tag diese totkranken glücklichen Kinderaugen.
*Aktuell in Vaterschaftspause*



klusterdegenerierung
Beiträge: 27321

Re: Eine Ode an das Leben(?)

Beitrag von klusterdegenerierung »

Arbeiten könnte ich dort auch nicht, aber wenn ich mal so einen Job habe, holt mich das mal wieder auf den Boden zurück! Klar geht einem das direkt an die Substanz und ist nicht ohne!

Um so mehr freue ich mich danch immer über meine gesunden Kinder! :-)



Wurzelkaries
Beiträge: 1117

Re: Eine Ode an das Leben(?)

Beitrag von Wurzelkaries »

Hallo Stephan,

danke für Deine Geschichte. Es ist extrem selten in einem Forum, dass jemand sein Innerstes nach aussen kehrt. Umso mehr gilt Dir mein Respekt.

Ja, das Leben geniessen und einen Ausgleich finden. Für mich ist das Filmen ja nur ein Hobby. Ich muss nicht davon leben. Das gibt mir eine Freiheit die ich in meinem Beruf nicht habe. Man wird heute zu sehr und zu oft fremdgesteuert.

Beste Grüße

Stefan



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