wo wäre Harry Potter ohne "örmeiny"???Ganz nah am Märchen ist das Muster der Heldenreise.
Das Problem bei den meisten Märchen ist, dass alles nach Schema F abläuft: Die Jungs sind die Starken, die Mädels die Schwachen, die es zu retten und zu beschützen gilt. Es gibt nur wenige Märchen, wo ein Mädchen/eine Frau, von Beginn an stark ist, meist nicht aus sich heraus, sondern weil Bruder, Vater, Liebster in Gefahr ist.Jörg hat geschrieben:wo wäre Harry Potter ohne "örmeiny"???Ganz nah am Märchen ist das Muster der Heldenreise.
Erzähltechnisch gesehen ist es in Märchen aber besonders einfach, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. "Es war einmal ein Mädchen, das war so stark und selbstbewusst, dass es keine Männer brauchte, um es zu beschützen ..."Jan Blöd hat geschrieben:Das Problem bei den meisten Märchen ist, dass alles nach Schema F abläuft: Die Jungs sind die Starken, die Mädels die Schwachen, die es zu retten und zu beschützen gilt. Es gibt nur wenige Märchen, wo ein Mädchen/eine Frau, von Beginn an stark ist, meist nicht aus sich heraus, sondern weil Bruder, Vater, Liebster in Gefahr ist.
eine recht gute Umsetzung dieser Idee finde ich gelungen inJan Blöd hat geschrieben: Ein Märchen, mit den bekannten Zutaten neu schreiben?
Ich bin jetzt nicht der Fachmann auf diesem Gebiet, habe keine Literatur studiert oder sowas, aber ich beschäftige mich beruflich sehr mit dem Erzählen und auch mit Kindern. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kinder Märchen brauchen und zwar in dieser klaren Rollenverteilung - gut, böse; stark, schwach, Mann, Frau... Diese Stereotypen helfen dem Kind eine Ordnung im Leben zu bekommen, sozusagen eine einfache Wertevermittlung. Das Schubkastendenken, das viele so vehement ablehnen, ist nach meiner Ansicht enorm wichtig im Leben von uns Menschen. Es hilft uns zu überleben. Jeder hat das, auch die, die es verurteilen. Es kommt aber natürlich auch ein wenig darauf an, wie fest man darin verharrt und wie eng diese Schubkästen interpretiert werden. Erst im späteren Leben können diese Werte ( und Schubkästen) hinterfragt werden. Ist das Hässliche immer böse? Ist das Schöne gut? Märchen und Geschichten (Märchen heißt übersetzt Geschichtchen bzw. kleine Botschaft) aller Art sollten Botschaften vermitteln, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. So geht es in den Märchen weniger darum, dass Männer oder Frauenrollen definiert werden. Die Helden sind keineswegs nur Männer. Wenn ich z.B. an dein angesprochenes Märchen von Hänsel und Gretel denke, so ist das schon eine Emanzipationsgeschichte, bei der Gretel die deutlich stärkere Rolle hat als Hänsel. Bis hin zur Vernichtung des Bösen (Hexe), während Hänsel passiv bleiben muss, gefangen im Käfig. Die Eltern sind hier in einer ungemein schlechten Rolle, da sie ihre Kinder aussetzen. Das sind Gedanken, die Kinder in größte Aufregung versetzen und sie in ihren Grundfesten erschüttern. Bei Rotkäppchen zum Beispiel bekommt die Mutter die Führungsrolle, die dem Kind die lebenswichtige Botschaft mitgibt, auf dem (richtigen) Weg zu bleiben. Den Weg, den die Eltern vorgeben zu verlassen, ist lebensgefährlich, so die Hauptbotschaft des Märchens. Dann aber auch wieder Emanzipation. Das Loslösen vom vorgegebenen Weg, trotz Gefahren und das Überstehen von Krisen und gefährlichen Situationen, durch eigene Erkenntnis aber auch durch Hilfe von Leuten, die sich auskennen und mir zur Seite stehen.Jan Blöd hat geschrieben:Ich habe mir einige alte Märchenfilme in den letzten Tagen angesehen, in der Hoffnung auf Inspiration. Und, vielleicht kam sie? Mir fiel auf, dass Frauen/Mädchen meist das zu rettende Opfer (Dornröschen), oder das mehr oder weniger nette Beiwerk (Hänsel und Gretel) sind, die am Ende aus der Weibschenrolle ausbrechen, und aktiv werden. Selten waren Frauen/Mädchen von Anfang an aktiv. Und wenn, dann nur, um Brüder/Väter oder Liebsten zu retten. Auch das Böse wurde meist nur böse dargestellt.
Was aber wäre, wenn diese Figuren anders wären? Wenn der Teufel der Held wäre, oder Gretel von Beginn an Vater und Bruder zeigt,m wo es lang geht? Und die Stiefmutter kein "böses Weib", keine Xantippe, sondern eine Frau wäre, die den Männern das fürchten beibringt, die sie unterdrücken wollen?
Versteht Ihr, was ich meine? Ein Märchen, mit den bekannten Zutaten neu schreiben?
Da hast du Recht.Benutzername hat geschrieben: man kann es gerne neu erfinden, aber dann sind es keine wirklichen märchen mehr.
Na klar,Jan Blöd hat geschrieben: Mir fiel auf, dass Frauen/Mädchen meist das zu rettende Opfer (Dornröschen), sind, die am Ende...Versteht Ihr, was ich meine?
Genau. Es ist möglich, als Geschichtenerfinder eine Botschaft für sich im Klartext zu formulieren und die "Semantik" der Märchen darauf anzuwenden. Das führte genau zu dieser belehrenden Haltung, die Jan Blöd im Eingangsposting beklagt. Erzähler sind keine Essayisten. Das Unwahrscheinliche, Phantastische an Märchen ist nicht die Behauptung, dass Zauberer und Drachen und sowas existieren, sondern das Happy End. Wir akzeptieren bereitwillig die Allegorien, darauf fußt ja das Wirkprinzip. Weil sie wahr sind. Keine "alternativen Fakten", sondern Fakten der Seele (ich sage bewusst nicht das pseudo-wissenschaftliche Psyche). Die Schlüsse der Märchen, die Lösungen für die Probleme, sind meistens vorläufig (... und wenn sie nicht gestorben sind ...). Eine kleine List, eine vorübergehende Korrektur einer Fehlhaltung, das glückliche Eingreifen einer dritten Partei. Und sie behaupten nicht, Allgemeingültigkeit zu besitzen. Die Erlösung aus der Verwunschenheit ist reine Utopie. Wenn man es mit solchen Gegnern aufnehmen müsste, könnte es eigentlich nur böse enden. Das Ende ist unglaubhaft, aber eben als Aufforderung gemeint, über sich hinauszuwachsen und an das Gute zu glauben im Sinne von Es gibt nichts Gutes außer man tut es. Der nächste Ärger ist allerdings gleich um die Ecke. Nach Taken kommen die Fortsetzungen. Ein steter Kampf ist unser Leben.Frank B. hat geschrieben:Die arche- bzw. urtypischen Muster bleiben aber immer enthalten. Die Aufgabe des Hörers bzw. Zuschauers ist es, diese Dinge für sich zu entdecken, auszugraben und zu bearbeiten. Dabei ist es vollkommen egal, auf welchem zeitgeschichtlichen Hintergrund ein Märchen entstanden ist.
In meinen Augen ist dieser pädagogische Ansatz eine vollkommene Fehlinterpretation. Zumindest haben die Gebrüder Grimm ihre Märchensammlung nicht für Kinder erstellt. Und wenn man sich die mal anschaut, nicht nur die zehn Märchen, die wir im Allgemeinen kennen, dann versteht man auch warum: Märchen = Happy End -> Quatsch, Märchen = Erkenntnis -> Quatsch, Märschen = Aufforderung zu richtigem Verhalten -> Quatsch, usw., Botschaft auch Quatsch.Frank B. hat geschrieben:Das Happy End der meisten, vor allem der Volksmärchen hat aber eben diesen prägenden Effekt, dass eine positive Grundtendenz im Leben gestärkt und gebildet wird, gerade im Kindesalter.
Ängste und Wünsche eben (nach Freud zwei Seiten einer Medaille). Aber du hast Recht. Aus dem Stegreif fallen uns ja eh nur disney-isierte Kitschversionen ein. Dabei weiß ich noch genau (wenn mir auch gerade die Titel nicht einfallen), dass ich bei einigen Märchen hinterher Schwierigkeiten hatte, einzuschlafen:dienstag_01 hat geschrieben:In meinen Augen ist dieser pädagogische Ansatz eine vollkommene Fehlinterpretation. Zumindest haben die Gebrüder Grimm ihre Märchensammlung nicht für Kinder erstellt. Und wenn man sich die mal anschaut, nicht nur die zehn Märchen, die wir im Allgemeinen kennen, dann versteht man auch warum: Märchen = Happy End -> Quatsch, Märchen = Erkenntnis -> Quatsch, Märschen = Aufforderung zu richtigem Verhalten -> Quatsch, usw., Botschaft auch Quatsch.Frank B. hat geschrieben:Das Happy End der meisten, vor allem der Volksmärchen hat aber eben diesen prägenden Effekt, dass eine positive Grundtendenz im Leben gestärkt und gebildet wird, gerade im Kindesalter.
Gibt es ein Märchen, wo es nicht um (Ur-) Ängste geht? Mir fällt keins ein.
Die beiden ersten sagen mir jetzt erstmal nichts, obwohl ich die meisten Märchen der Gebrüder Grimm schon gelesen haben dürfte. Vielleicht sind das ja auch Kunstmärchen. Das letzte allerdings ist tatsächlich auch von den Gebrüdern Grimm und zwar das Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.Axel hat geschrieben:Dabei weiß ich noch genau (wenn mir auch gerade die Titel nicht einfallen), dass ich bei einigen Märchen hinterher Schwierigkeiten hatte, einzuschlafen:
> Eine Frau heiratet einen Massenmörder und entdeckt bei dessen Abwesenheit die Leichen ihrer Vorgängerinnen in einem verbotenen Zimmer (ähnlich König Blaubart).
> Ein Junge wird erschlagen. Jahre später schnitzt jemand aus einem seiner Knochen eine Flöte, die dann audiomäßig vom Mord kündet, worauf der Mörder gefasst wird.
> Ein junger Mann will lernen, sich zu fürchten und nimmt Erhängte ab und ähnlich makabre Sachen. Aber vergebens, er bleibt furchtlos. Erst als ihm seine Frau kalte Fische ins Bett schüttet, lernt er das Grauen. Letzteres sehr strange und irgendwie surreal.
Also ist es okay, die Klischees als solche zu entlarven, indem man sie auf den Kopf stellt!Wenn Kinder noch klein sind, denken sie nicht in Kategorien. Sie spielen mit denen, die sie mögen, egal ob Junge oder Mädchen. Sie tragen Kleidung, die ihnen gefällt, egal ob blau oder rosa. Ihr Lieblingsspielzeug wählen sie mit dem Herzen aus und nicht danach, bei welcher Zielgruppe der Hersteller es platzieren möchte.
Und dann kommen die Erwachsenen ins Spiel. Und damit die Klischees, die so schwer zu überwinden sind. Farben bekommen geschlechtsspezifische Bedeutungen, Puppen sind was für Mädchen, Mädchen prügeln sich nicht. Trotz aller feministischen Bemühungen in puncto Gleichstellung halten sich die binären Ansichten, wie ein Junge und wie ein Mädchen zu sein und zu denken und zu empfinden hat, hartnäckig. (...)
Bricht mal einer aus, aus den tradierten Denkweisen, wird er dafür kritisiert. So passierte es dem Sohn von Twitter-Userin _setzkasten_, der in seiner Deutsch-Hausaufgabe ein Märchen verfasste und darin eine Prinzessin kämpfen ließ. Er kassierte dafür eine Anmerkung seiner Lehrerin, die im Idealfall nur zu pauschal formuliert ist: "Es passt nicht zu Märchen, dass die Prinzessin kämpft." (...)
Viel klassischer als Grimm geht es als Vorbild für den Deutschunterricht kaum. Doch selbst Jakob und Wilhelm Grimms Märchen wurden für jede Neufassung ein wenig abgewandelt, damit sie lebendig blieben, lernen wir im "Cicero"-Interview. Röllekes wohl wichtigste Aussage lautet: "Kinder brauchen Märchen. Sie sind wichtig für die kindliche Frühentwicklung. Sie lernen Literatur kennen. Ein Vierjähriger, der Hänsel und Gretel hört, identifiziert sich mit den Kindern. Auf einmal ist da ein Stück Literatur, in das ein Kind förmlich hineinsteigt."
Kämpfende Prinzessinnen bieten genau das: die perfekte Vorlage für Identifikation und Fantasie.
Menschliches Verhalten ist zu einem sehr großen Teil irrational. Dazu gibt es das Eisberg-Modell zur Veranschaulichung. Was wir (auch uns selbst) als eigenständige Entscheidung verkaufen, ist bloß die berühmte "Spitze des Eisbergs". Wir hatten eine ähnliche Hirnforschungs-Debatte schon zu Apple, dessen Käufer angeblich religiöse Gefühle empfinden. Ein Wissenschaftler, der eine solche Schlagzeile verbreitet (religiöse Gefühle, was soll das bitte schön sein?), diskreditiert sich nur selbst. Es ist Hirnforschern nicht möglich, die Hirnaktivität einer säugenden Mutter von der eines gewaltbereiten Hooligans zu unterscheiden, der seine Mannschaft ekstatisch bejubelt. Widerlegt? Ich würde mal sagen, Lesen des Schicksals aus Instant-Kaffeesatz ist irgendwie verlässlicher!Frank B. hat geschrieben:Die Aussagen sind von der Hirnforschung größtenteils widerlegt worden.
Du widersprichst mir nicht. Ich spreche nicht von persönlicher Unterdrückung, sondern von struktureller. Und da haben es, ironischerweise, eindeutig von der Norm abweichende Individuen (Schwule, Lesben, Transgender) erheblich leichter, ihre eigenen Rollen zu finden. Selbst im diktatorischen Russland, wo drakonische Sanktionen drohen (entsprechendes Posting nun im off-topic). Rollen bleiben es dennoch, angenommene Identitäten.Jan Blöd hat geschrieben:@ Axel,
Einigen wir uns darauf, dass die traditionellen Geschlechtsrollen Murks sind, und wir nach unseren Talenten, nicht nach Geschlecht (oder anderen doofen Kriterien) beurteilt werden sollen, und, dass die Geschlechtsrollen auf den Prüfstand gehören, wenn nicht sogar abgeschafft gehören.
In einem aber widerspreche ich Dir teilweise!
Zwar werden auch Männer unterdrückt, aber meist von Geschlechtsgenossen, und weniger von Frauen. In den meisten Fällen sind es Männer, die Frauen unterdrücken, und nicht Frauen, die Männer unterdrücken! Ob wohl ich weiß, dass es auch solche Fälle gibt!