Exakt genau so sehe ich das auch - mit anderen Ländern im Fokus (Saudi, Jordanien, Kuwait, Afghanistan, Ägypten, Äthiopien, Kaschmir…) aber vom Prinzip her aus der gleichen Ecke kommend. Daher werden wir wohl weiterhin mit kleinen Kameras beim Handling und vor allem im Blendenumfang Kompromisse machen müssen...Drushba hat geschrieben:Wer dokumentarisch dreht (nicht: Reportagen, Essayfilme oder Dokumentationen, das wird oft mit "Dokumentarfilm" verwechselt) muß längere Zeit oder zumindest mehrmals an einem Ort sein um seinen Protagonisten folgen zu können und dabei behutsam in den Mikrokosmos eindringen. Zudem ist das "Etablieren" der Kamera eine ganz feste Arbeitsgröße. Wenn das nicht erfolgt, d.h. keine Gewöhnung der Protagonisten an das Setup geschieht, wird man keine natürlichen Momente und Szenen beobachten können. Eine große Kamera wie die Amira ist da ungefähr genauso unpraktisch wie die alten 16mm Mühlen, die meist einfach zu auffällig waren. Ein "DOK-Referenzdesign" wäre gegeben, wenn die Cam bei gleicher Bildqualität kleiner als ein Henkelmann wäre, denn selbst diese sind meist schon zu groß um in Armenien jemanden auf den Pferdemarkt zu folgen oder in Nigeria ohne Aufsehen zu erregen im Bus mitzufahren.
Nicht zu vergessen Meehh ist ja kein echtes 4K, da kommt am Ende ja höchstens nur FHD raus!! :-)Jott hat geschrieben:Wo bleibt der beliebte ProRes-Verriss: uralte DCT aus dem letzten Jahrhundert, riesige 16x16 MPEG 2-Makroblöcke, proprietärer Intermediate-Codec nur für schwache Rechner, schlechter als AVCHD, Apple-Verarschung und überhaupt? :-)
Die Juryentscheidungen der bedeutendsten Dokfilmfestivals weltweit sprechen da meist eine andere Sprache. Die besten Dokfilme entstehen oft genug mit geringem Budget, aber mit großem filmischen Können und die letzten Jahre über weitgehend auf DSLRs und Henkelmännern. Die Wahl der Ausrüstung passt sich da der Aufgabestellung an. Früher sagte man "nur der schlechte Handwerker schimpft aufs Werkzeug", das bleibt wohl auch so. Teure und klobige Großkameras, welche eher den Kameramann wichtig machen als den Film, sehe ich daher eher im Lokalfernseh-, TV- und EB-Bereich, nicht aber dort, wo Preise gewonnen werden. Ausnahmen bestätigen die Regel natürlich ;-)mash_gh4 hat geschrieben:über die zweifelhafte ergonomie der noch kleineren alternativen und deren auswirkung auf das dokumentarische arbeiten könnte man allerdings sicher genauso kritisches urteil fällen.
Ganz ohne Polemik und nur aus meiner eigenen Wahrnehmung der Realität und Erfahrung der letzten Jahre: von "Zweitrangigkeit" kann überhaupt nicht die Rede sein. Auch geht es nicht in erster Linie darum, "versteckt" zu drehen, sondern die Lebenssituationen Deiner Protagonisten und deren Umfeld durch Kameras nicht komplett zu verändern. Denn das Ur-Dilemma eines jeden Dokumentaristen liegt genau hier: wie stark verändere ich durch meine Präsenz die Authentizität meines Sujets, seiner Aussagen un Art und Weise zu sprechen, seines Umfeldes (Familie etc) und so weiter? Das Zusammenspiel der Präsenz von "Fremden" am Ort (also die Team-Größe, Art der Ausrüstung, das persönliche Auftreten und der Umgang mit den Menschen am Ort) stehen in unmittelbarem Verhältnis mit dem Resultat im Film. Auch mit "kleinen" Kameras ist die einzige Möglichkeit normalerweise, Deine Umgebung langsam an Dich (und: das Team der "Weißhäutigen", die Ausrüstung mit Rucksäcken voller Objektive, Mikrofone und überhaupt "Technik") zu gewöhnen, sodass nach ein paar Stunden (oder Tagen, oder Wochen…) das ursprüngliche Gleichgewicht wieder hergestellt ist - zumindest einigermaßen.Helge Renner hat geschrieben:Die Größe und Auffälligkeit der Kamera ist hingegen zweitrangig. Solange nicht die Notwendigkeit besteht, unbemerkt zu filmen, ist es egal, wie groß die Kamera ist. Wenn man es als Dokumentarfilmer nicht schafft, dass die Kamera die Protagonisten nicht stört, dann hat man andere Probleme, als die Größe der Kamera.
Lieber Frank, ich hasse Dogmen, mein Standpunkt ist nicht "aus den 60ern" und ich denke meine Sprache und Ausdrucksweise auch nicht… denn in dieser Diskussion ging es mir auch nicht darum, beim Drehen "nicht anwesend zu sein" (das berühmte "fly on the wall"), sondern inwiefern die Präsenz GROSSER Kameras mehr oder weniger "stört". Nach meiner Erfahrung tut sie es, und zwar zum Teil ganz gewaltig.Frank Glencairn hat geschrieben:Nichts von dem was du sagst, deckt sich mit meiner Erfahrung.
Das man unter Filmern nur über Specs redet, aber nicht über die Philosophie des Filmens, gibts flächendeckend wohl nur in Deutschland, dem Land der mediengestaltenden Maschinenbauer...Funless hat geschrieben:Also dass ein (interessanter und äußerst lesenswerter) Hands-On Testbericht einer Arri Amira in eine frontenverhärtende Grundsatzdiskussion über die Philosophie von Dokumentarfilmen ausartet, gibt's wohl scheinbar echt nur bei slashCAM. *Kopfschüttel**
Was mich wundert ist Dein "Kopfschütteln" und das unsägliche Wort "ausartet". Aber mal ehrlich, und um Drushba's treffenden Kommentar zu "vereinfachen" (con permesso): geht's Dir wirklich nur um die Ausrüstung? Gar nicht um das, was man damit macht? Machst Du den Film, weil Du das Equipment hast oder benutzt Du das Equipment, um Deine Story zu erzählen?Funless hat geschrieben:ausartet *Kopfschüttel**
das würde ich deswegen gut finden, weil dort wenigstens jener "exotismus" wegfällt, der leute immer wieder dazu verführt, möglichst weit weg zu fahren, um in der ferne ihre kameras zu verstecken bzw. eindrücke zu sammeln, zu denen sie möglichst wenig direkten bezug besitzen oder ein gewachsenes verständnis mitbringen. in dieser hinsicht ist es mir dann oft fast lieber, es bleibt bei der üblichen "nabelschau" und die betreffenden kollegen halten wenigstens ganz nebenbei auch ein bisschen was von jener eine welt fest, von der sie tatsächlich eine ahnung haben.Jott hat geschrieben:Idee: Dokumentarfilm über Dokumentarfilmer, ihre Philosophie, ihre Technik und ihr Ego.
Gegenvorschlag: Dokumentarfilm über sackdoofe Konsumzombies, welche irgendwas mit Medien machen wollen und sich auf der Suche nach Sinn schlußendlich eine Kamera kaufen, um endlich auch mal selbst mitlügen zu können. ;-)Jott hat geschrieben:Idee: Dokumentarfilm über Dokumentarfilmer, ihre Philosophie, ihre Technik und ihr Ego.
Also wir bestellen bei Teltec ja nur telefonisch... Und wenn sich Menschen mit Erfahrung in dokumentarischem Arbeiten über die Hintergründe des Dokfilmens unterhalten, lese ich still und heimlich mit und hoffe die eine oder andere Weisheit zu erhaschen.Drushba hat geschrieben:Und da jeder, der hierzulande eine Kamera bestellt, ohnehin schon alles weiß, noch bevor er den Teltec-Bestellbutton gedrückt hat, ist es natürlich uncool sich über Hintergünde des Dokfilmens zu unterhalten.
Ein gewisses Desinteresse stellte sich bei Fern- oder Naturdokus schon seit einiger Zeit bei mir ein. Eigentlich immer das Gleiche, selten mal eine Ausnahme. Man ist schon irgendwie überfüttert.Drushba hat geschrieben:
Im Gegensatz zum Propagandafilm, der den Anschein erwecken möchte wahr zu sein, tritt das Genre des Dokumentarfilms mit dem Versprechen und dem Selbstanspruch an, die Wahrheit zu erzählen.
Auch nicht schlecht.Drushba hat geschrieben:Gegenvorschlag: Dokumentarfilm über sackdoofe Konsumzombies, welche irgendwas mit Medien machen wollen und sich auf der Suche nach Sinn schlußendlich eine Kamera kaufenJott hat geschrieben:Idee: Dokumentarfilm über Dokumentarfilmer, ihre Philosophie, ihre Technik und ihr Ego.
Dein Desinteresse ist IMHO berechtigt. Allerdings sind diese Formate meist auch keine richtigen "Dokumentarfilme", sondern seltsame Mischungen aus gescriptetem TV und gefällig montierten Szenen ohne dokumentarische Momente. Diese TV-Formate wirken schon durch drübergesprochene Kommentare beliebig. Dabei dürfte es sich auch meist um Dokumentationen statt um Dokumentarfilme handeln, bei Sarah Wiener eher um Reportagen. Aus meiner Sicht ist der Unterschied zwischen Dokumentarfilm und Dokumentation ähnlich wie zwischen Literatur und Groschenromanen, welchen das "literarische" bzw. "echte" fehlt, die aber schneller zu konsumieren sind. Ein echter Dokumentarfilm handelt zudem von Menschen und nicht von Sachthemen. Ein echter Dokfilm kann so viel mehr sein, wirkt IMHO aber auch im Kino meist besser als auf der heimischen Glotze.domain hat geschrieben:Ein gewisses Desinteresse stellte sich bei Fern- oder Naturdokus schon seit einiger Zeit bei mir ein. Eigentlich immer das Gleiche, selten mal eine Ausnahme. Man ist schon irgendwie überfüttert.Drushba hat geschrieben:
Im Gegensatz zum Propagandafilm, der den Anschein erwecken möchte wahr zu sein, tritt das Genre des Dokumentarfilms mit dem Versprechen und dem Selbstanspruch an, die Wahrheit zu erzählen.
Aus meiner Sicht beinahe schon interessanter die Nahdokus wie von Franz Xaver Gernstl etc. oder von Sarah Wiener, obwohl diese ziemlich affektiert daherkommt.
Sie sind deshalb m.E. ansprechender, weil in "normalen" und uns bekannten Regionen eher Fremdartiges dokumentiert wird, als in fremden Regionen eine verstehenwollende Nähe suggeriert wird.
Drushba hat geschrieben:Das Problem an solch einem Film über Opfer (wie bei jedem Dokumentarfilm) ist, daß er entlarvend sein muß, um gut zu sein.
Wahrheit muss also entlarvend sein. Oder muss entlarvt werden. Sonst ist der Film nicht gut.Drushba hat geschrieben:tritt das Genre des Dokumentarfilms mit dem Versprechen und dem Selbstanspruch an, die Wahrheit zu erzählen.
Besser ist das.dienstag_01 hat geschrieben:
Wahrheit muss also entlarvend sein.
Ich verkaufe hauptberuflich Gartenschläuche. Du hast mich durchschaut. Aber da hier jeder mitmachen darf, wollt ich halt auch mal.dienstag_01 hat geschrieben: Du arbeitest in dem Metier?
Was soll man sagen.
DAS ist jetzt wirklich entlarvend ;)Drushba hat geschrieben:Ich verkaufe hauptberuflich Gartenschläuche. Du hast mich durchschaut. Aber da hier jeder mitmachen darf, wollt ich halt auch mal.
Drushba hat geschrieben:Das man unter Filmern nur über Specs redet, aber nicht über die Philosophie des Filmens, gibts flächendeckend wohl nur in Deutschland, dem Land der mediengestaltenden Maschinenbauer...Funless hat geschrieben:Also dass ein (interessanter und äußerst lesenswerter) Hands-On Testbericht einer Arri Amira in eine frontenverhärtende Grundsatzdiskussion über die Philosophie von Dokumentarfilmen ausartet, gibt's wohl scheinbar echt nur bei slashCAM. *Kopfschüttel**
Die französische Filmhochschule La Femis erwartet einen klugen, mind. 10-seitigen Essay als Bewerbung, eine ebenso kluge Filmkritik und ein mindestens zweijähriges geisteswissenschaftliches Studium, die deutschen Filmhochschulen technisch perfekte Videos. Wessen Filme hinterher am Weltmarkt wohl besser funktionieren?